„Überdosis Sommer“
Zeichnungen von Wolf-Dieter Pfennig mit Texten von Matthias Dix
Poetische Hefte / 4. Jahrgang 2004 / Nr. 4
Die Poetischen Hefte erscheinen in zwangloser Folge in einer Auflage von 250 Exemplaren.
(C) Poetische Hefte C/O Ralph Werner, Berliner Straße 111, 13189 Berlin
Gestern telefonierte ich mit Rilke
Herr es ist Zeit. Der Winter war sehr groß.
Nimm deine Kälte von den Gesichtern
Und auf der Oranienburger lass die Mädels los.
Befiel allen Mumien tot zu sein;
Gib ihnen den Tropf und noch zwei kalte Tage,
Dränge sie zum Grabe hin und jage
die letzten Seufzer durch ihr Hirn und Bein.
Wer jetzt kein Haus hat, braucht auch keins mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es nicht mehr bleiben.
Wird lachen, vögeln, Kondolenzbriefe schreiben
Und wird beim Lieben hin und her
Geworfen sein, wenn die Knospen treiben.
Überdosis Sommer
Unter seinen hohen Himmeln ist es geboten
gebückt zu schreiten
denn leicht zerschellt an den bizarr luftigen Felsmassiven
der Kopf. Und die Realität bricht und
es blüht der Tumor Traum.
Oh Überdosis Sommer!
Seine Schwalben schreiben mit langen Federn
Namen von Düften in die Luft.
Narkose bedeuten sie alle.
Nur der See erwehrt sich der Betäubung und atmet schlaff
seine Wellen ans Ufer.
Oh Überdosis Sommer!
Meine Gestalt gewinnt mit dem schwindenden Dunst der Gebirge.
Am klaren Mittag in meinem Hirn zieht
ein Adler seine Kreise
und stürzt hinab auf Beute.
Überdosis Sommer.
Ich will nicht erwachen.
Ich will nicht müde sein.